-
Achtsam wahrnehmen
Beginnen Sie bei den Anderen! Wenn Sie selbst schwanger sind, werden Sie plötzlich in Ihrer Umgebung
auch viele Schwangere wahrnehmen. Wenn Sie hungrig sind, scheint der Duft aus der Bäckerei viel intensiver zu sein als sonst und Sie schaffen es kaum, vorbei zu laufen. Komisch? Nein, das ist
selektive Wahrnehmung. Womit sich das Gehirn befasst, das erfasst auch die Wahrnehmung.
Befasst sich das Gehirn also gerade mit einem sprachlichen Thema, werden Sie das auch bei Ihren
Gesprächspartnern, Fernsehmoderatoren oder Fremden im Bus registrieren. Sie werden sich denken: "Aha, XY sagt ständig müssen." oder "Oh, dieser Moderator scheint die 3A zu kennen, er macht
immer einen Moment Pause, bevor er seine Frage stellt." Beobachten Sie, wie die spezifische Ausdrucksweise einer Person auf Sie wirkt oder auf Dritte (z.B. im Fernsehen). Bitte behalten Sie Ihre
Beobachtung für sich. So mancher würde sich auf den Schlips getreten fühlen.
Im nächsten Schritt hören Sie sich selbst genauer zu! Stellen wir uns vor, Sie wollen darauf achten,
Ihre Gesprächspartner so oft wie möglich mit dem Namen anzusprechen und zwar am Satzanfang. Sie werden sich Sätze sagen hören wie "Kommst du mit spazieren, Stefan?" und sich denken, "Ups, da war
es wieder am Schluss." Seien Sie geduldig mit sich selbst. Vielleicht hat Stefan Ihre Frage gar nicht registriert und Sie bekommen sofort eine neue Chance: "Stefan - kommst du mit spazieren?"
Fehler sind dazu da, dass wir etwas daraus lernen.
-
Wortfasten
Nehmen wir einmal an, Sie wollen zum Beispiel darauf achten, "eigentlich" aus Ihrem Sprachgebrauch zu streichen.
Sie werden es anfangs dennoch immer wieder benutzen. Und das werden Sie selbst bestimmt auch hören. Verzichten Sie auf "Oh, nein, nicht schon wieder!" oder "Mann, bin ich doof." Machen Sie lieber
etwas lustiges oder greifbares daraus.
Lustig kann bei dem Wort "eigentlich" zum Beispiel sein, wenn Sie dann ein "eieieiei" dranhängen. Erklären Sie
Ihrem Gesprächspartner, dass Sie gerade darauf achten, Füllwörter aus Ihrem Wortschatz zu streichen. Sie wissen sicher selbst, in welchem Umfeld das passend und möglich ist.
Greifbar machen bedeutet, sich zum Beispiel fünf kleine Holzperlen oder etwas Ähnliches in die linke Hosentasche
zu stecken. Bei jedem "eigentlich" das Sie bemerken, wandert eine dieser Perlen in die rechte Hosentasche. So wissen Sie am Ende des Tages, wie Ihnen Ihre sich selbst gestellte Aufgabe gelungen
ist und am Ende der Woche, welche Fortschritte Sie gemacht haben. In meinem Blog vom Februar 2018 https://www.heilpaedagogik-lohr.de/blog-februar-2018/ schreibe ich ganz ausführlich über das
Wortfasten.
-
Kurznachrichten und Email achtsam lesen und schreiben
Angenommen, Sie wollen künftig vollständig Sätze bilden. Hier haben Sie beim Schreiben von
Kurznachrichten (whatsapp, SMS, Messenger usw., aber auch Notizzetteln an der Tür) und Emails die beste aller Übungsmöglichkeiten. Es ist ganz leicht, digitale Nachrichten zu korrigieren. Und es
dauert nur wenig länger, den Satz zu vervollständigen. Das gilt natürlich auch für andere Themen: Füllwörter, "müssen", ... lassen sich ebenso leicht löschen wie Verneinungen sich finden und
korrigieren lassen.
Beim Lesen werden Sie wieder wahrnehmen, wie es die Anderen schreiben - und wie das auf Sie wirkt.
Ich empfehle Ihnen beim Lesen innerlich den Text in eine achtsame Sprache zu übersetzen. So können Sie Verneinungen gedanklich positiv umformulieren. Aus "Es dauert nicht mehr lange ..." machen
Sie "Bald ist es soweit ..." Ich empfehle Ihnen, mit einfachen Redewendungen aus dem Alltag zu beginnen.
-
Sprache sichtbar machen
In einem meiner Seminare fühlte sich eine Erzieherin von den zu vielen "müssen" angesprochen. Sie
schritt sofort zur Tat und schrieb das "müssen" auf einen Notizzettel und strich es mit dickem roten Stift durch. "Das hänge ich mir jetzt gleich in meiner Gruppe an die Schranktür." sagte sie
hoch motiviert. Die Kolleginnen haben so auch gleich noch etwas davon.
Das geht natürlich auch im umgekehrten Fall, wenn Sie ein neues Wort in Ihren Wortschatz aufnehmen
wollen. Schreiben Sie zum Beispiel "friedlich" auf einen schönen Zettel und kleben diesen an die Kinderzimmertür. So wird es Ihnen gelingen, beim Eintreten öfter mal zu sagen "Ihr spielt ja heute
so friedlich zusammen."
Oder Sie schreiben sich fünf Ihrer typischen Sätze mit Pseudo-Aufforderungen auf: Das ist so etwas
wie "Würdest du dir bitte die Hände waschen?!" Von Pseudo-Aufforderung spreche ich hier, weil es sich grammatikalisch um eine Frage handelt. Diese wandeln Sie erstmal schriftlich um, so dass Sie
Ihnen im Bedarfsfall mental zur Verfügung stehen. "Bitte wasche dir die
Hände!"
Sicher finden Sie einen Ort an Ihrem Arbeitsplatz oder zu Hause, wo Sie Ihr Thema sichtbar
machen können. Was kommt Ihnen für die Pinnwand oder das Flipchart im Team-Zimmer in den Sinn?
-
Trainingspartner oder Trainingspartnerin finden
Erzählen Sie Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin oder auch einer Kollegin Ihres Vertrauens begeistert
von Ihrem Vorhaben. Bitten Sie sie oder ihn um ihre Unterstützung. Erlauben Sie ihr oder ihm, Sie dreimal täglich auf ein bestimmtes Wort oder eine Redewendung aufmerksam zu machen, die Sie
benutzen. Vielleicht ist es passend ein Zeichen zu verabreden ohne viele Worte zu verwenden.
Belassen Sie es bei dreimal täglich. Sie sollen schließlich beide noch Spaß daran haben. Und ich
garantiere Ihnen, Sie werden einen riesigen Spaß daran haben. Danken Sie Ihrer Trainingspartnerin für ihre Aufmerksamkeit.
Dieser Übungstipp hat noch einen Vorteil: Die Trainingspartnerin wird auch aufmerksam auf ihre
eigene Sprache achten. Sprache ist ansteckend ...
-
Wortschatz-Buch
Sammeln Sie schöne Wörter! In den ersten Schritten beim Entwickeln einer achtsamen Sprache geht es
oft darum, Füllwörter zu streichen oder Wörter, die Druck machen zu reduzieren. Es tut jedoch auch gut, die eigene Sprache mit schönen Wörtern zu pflegen, aufzufrischen und
anzureichern.
Gestern las ich in einem Text, dass jemand "eine reiche Zeit" verbracht hat. Diese Verwendung von
"reich" höre ich selten, doch hat sie eine ganz tiefgehende Bedeutung. Ich sammle solche schönen Wörter und Redewendungen in einem kleinen Wortschatz-Buch. Sie werden staunen, was Sie alles
entdecken werden. In meinem Blog-Artikel vom August 2018 https://www.heilpaedagogik-lohr.de/blog-august-2018/ finden Sie dazu noch weitere
Anregungen.
-
Kartensatz
In den Kartensätzen "Die Kraft der Sprache" https://www.lingva-eterna.de/verlag/kartensaetze finden Sie
viele Beispiele aus dem alltäglichen Sprachgebrauch. Wählen Sie eine beliebige Karte aus und spüren Sie der Wirkung der unterschiedlichen Sätze nach. Hören Sie den unterschiedlichen Klang Ihrer
Stimme? Welche Gestik und Mimik gehören für Sie zu diesen Sätzen? Nehmen Sie diese eine Karte eine Woche lang in den Blick und achten Sie darauf, wie oft Sie den oberen Satz der weißen Seite
selbst sagen oder bei anderen hören. Freuen Sie sich, wenn Sie ihn bemerken! Bringen Sie die Karte so an, dass Sie sie häufig sehen, auch ohne bewusst hinzuschauen. So geht der Impuls leicht in
Ihr Unterbewusstsein.
Sie werden möglicherweise beobachten, dass sich etwas in Ihrem Leben wandelt. Es kann sein, dass Sie
auf einmal mehr Zeit haben, oder dass Sie mit Ihren Mitmenschen besser zurechtkommen.
Mit diesen sieben Tipps wird es Ihnen sicher gelingen, Ihre Sprache achtsam weiter zu
entwickeln.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!
Heike Brandl
Kommentar schreiben
Kristina Mohr (Donnerstag, 04 April 2019 09:17)
Herzlichen Dank für diese spannenden Blickwinkel und Ideen für mehr Achtsamkeit. Menschen am Satzanfang mit Namen ansprechen, nehme ich mir jetzt vor, und "schöne Worte sammeln"!! Dankeschön.
Anna (Donnerstag, 04 April 2019 09:54)
Danke für die tollen Tipps.
Achtsamkeit ist beim Reden und Schreiben auch wichtig. Ich nehme sie zu Herzen und werde üben und deine Tipps umsetzen.
LG. Anna
Heike Brandl (Donnerstag, 04 April 2019 13:18)
Ich danke euch für eure Rückmeldung und wünsche euch viel Freude damit.